Autobiographisches Essay

Wenn man bei Google “music is” eingibt, kommen schnell Sätze wie “music is my first love, music is my religion, music is the key, music is the answer…”. Tja, stimmt schon irgendwie. Für mich ist die Musik ein bisschen von all dem, so etwas wie ein Wanderweg im Wald – es fühlt sich richtig und sicher an sich an ihn zu halten. Musik ist kein wirklicher Beruf: es ist eine Berufung und die Menschen, die diesen Weg gehen, haben ihn meistens nicht gewählt. Der Weg selbst hat sie gewählt; sie hatten keine Alternativen. Wie kann man sonst mit diesem kleinen Specht im Kopf leben, der einem mit erstaunlicher Persistenz auf den Kopf haut, sobald man versucht, sich ernsthaft einer anderen Beschäftigung zu widmen? Der Specht meißelt Tag für Tag dieselben Sätze: “Die Zeit deines Lebens verstreicht, du lebst umsonst, sie verstreicht, noch ein Tag vorbei, umsonst, umsonst…” Wer kann sich in so einer Atmosphäre entspannen? Man gibt nach und wird Priester, ein Hierophant der Kunst. Wer nicht nachgibt, hat meine größte Bewunderung. Und nicht umgekehrt. Es war nicht ich, die meine Doktorarbeit nach drei Jahren Max-Plank-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in St. Pauli auf dem Recyclinghof entsorgt hat, 18 Ordner. Das war dieser geheimnisvolle Specht. Dieser Vogel ist aus meiner Sicht der wichtigste Teil meiner Künstlerpersönlichkeit. Er führt mich durch die fantastischen Landschaften des eigenen und fremden Schaffens und belohnt mich mit einem gelungenen Konzert.

Ansonsten ist meine musikalische Biografie eher unspektakulär – aber sie hatte zwei kostbare Konstanten, die mich sehr glücklich gemacht haben. Die erste heißt: Musik um mich herum. Seit frühester Kindheit war ich von ihr umgeben. Ich saß im Mutterleib während meine Mama die Abschlussprüfungen des Rostower Konservatoriums vorbereitete, später saß ich ihrem rechten Arm, während sie mit dem linken, die von Brahms überarbeitete Chaconne von Bach, spielte (hat Brahms bei seiner Überarbeitung auch frischgebackene Mütter bedacht?). Ich wachte auf und hörte Mama Prokofjews “Romeo und Julia” spielen, und mit elf verkündete ich, Schostakowitsch sei mein Lieblingskomponist. Die andere Konstante heißt: Musik in mir drin. Ich erinnere mich, wie mich unsere Nachbarn in der Provinz auf den Stuhl stellten und mich baten, die damaligen Sowjethits zu singen; ich war vier. Sie haben sich insgeheim schlapp gelacht, weil ich den Text (den ich stets in voller Länge kannte) nicht verstand und etliche Worte gegen mir geläufigere austauschte. Die nächste Erinnerung ist eine Aulabühne bei der Einschulung: ich singe und spiele Gitarre. Ob ich jemals Lampenfieber hatte? Mit dreizehn stand ich auf der großen Bühne des Kiewer Kindertheaters und brachte während unserer Gastspiele in der Schweiz ältere Züricher Damen mit Ghettoliedern zum Weinen. Musik zu machen ist für mich sehr natürlich. Die Menschen hören mir zu. Und wenn ich in einem Hotel im Hintergrund singen soll, halte ich die armen Gäste nur vom Essen ab. Ich brauche nur ein wenig in mich hinein zu gehen und diese Energie fließt nach draußen, direkt in fremde Ohren und Seelen, als würde man Flüssigkeit aus einem Gefäß in das andere gießen.

Eine der schönsten Bestätigungen für mich als Künstlerin ist die unermüdliche Unterstützung meiner Zunftkollegen. Meine Musikidole wurden zu meinen Gönnern und Helfern, sobald ich sie persönlich traf. Große Künstler wie Osmar Milito, Giora Feidman oder Quique Sinesi nahmen mich einfach mit auf die Bühne. Einer der ersten Likes auf meiner Facebookseite stammte von Jaques Morelenbaum. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, wenn Tausende Dich anbeten, aber wahrscheinlich ist es halb so schön. Und was für ein Geschenk machten mir die großartigen Musiker, die mein Debütalbum eingespielt haben, z.T. bei völligem Honorarverzicht. Dies gibt mir viel Kraft und bestätigt mein Gefühl, dass ich etwas richtig mache und dass es um mehr geht, als um noch eine Pose in die Welt zu werfen, noch einen Beamer in diesem Wirrwarr aus Projektionen und leeren Träumen einzuschalten.